Geschichte mit einem Glücklichen Ende
Ich glaube, dass ich meine Geschichte mit gerade diesem Titel beginnen muss. Das ist eine Geschichte darüber, wie mein Kind seine ersten Schritte alleine mit 24 Monaten, ohne irgendwelche Hilfsmittel gemacht hat, mit 36 Monaten Ski gefahren und im sechsten Lebensjahr selbständig Fahrrad gefahren ist.
Heute ist er sechseinhalb Jahre alt, besucht die erste Klasse Grundschule und ist ein Kind ohne besondere Probleme, ein Kind ohne besondere Bedürfnisse, trotz des anfänglichen Gutachtens die Ärztin in der “Neuroentwicklungsambulanz”, die eine viel pessimistischere Prognose bezüglich der Entwicklung des Kindes und seines letztlichen Zustands gegeben hat.
Um meine Geschichte kurz zu fassen:
Meine erste Schwangerschaft im 27. Lebensjahr verging mit etwas Komplikationen, Blutungen, teilweiser Schälung der Gebärmutterschleimhaut, Verdacht auf thrombozytopenische Purpura, rote, kleine Pünktchen auf den Füßen, die einen Juckreiz verursacht haben. Ich habe das Kind in der 39. Schwangerschaftswoche mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht, weil das Kind sich in Steißlage befand. Nach der Geburt des Kindes war angeblich alles in Ordnung, so dass sie uns nicht, außer den üblichen Untersuchungen, keine zusätzlichen empfohlen haben. Die Entwicklung des Kindes verlief bis zum 10 bzw. 11 Lebensmonat normal. Mein Sohn Mark konnte mit 6 Monaten selbständig sitzen, mit 8,5 Monaten begann er zu krabbeln. Danach hörte seine seine motorische Entwicklung auf. Ich habe bemerkt, dass er nicht gut aufstehen kann beziehungsweise, wenn er mit der Sitzgarnitur aufstehen wollte, er eigentlich mit Hilfe seiner Händchen aufgestanden ist und dieses Aufstehen erfolgte sehr unsicher und nur auf den Zehen.
Mein inneres Gefühl hat mir die ganze Zeit gesagt, dass etwas nicht in Ordnung sei. Die Pädiater haben mir ständig gesagt, dass Kinder bis zum ersten Lebensjahr Zeit haben, sich auf ihre Füße zu stellen und ich den Prozess nicht beschleunigen soll. Ich habe ihnen geglaubt, weil ich nur eine fühlende Mutter bin.
Und wahrlich, mein Gefühl beziehungsweise meine Intuition hat mich nicht getäuscht und sich als richtige und wertvolle Angabenquelle erwiesen. Im Alter von einem Jahr haben sie uns dennoch in die Neuroentwicklungsambulanz verwiesen. Nach der Kontrolle der Ärztin und der Physiotherapeutin folgte die Diagnose: mildere Form der zerebralen Paralyse (Grad 1-2). Die Ärztin hat mir folgende Frage gestellt: „Warum kommen Sie erst jetzt in die Neuroentwicklungsambulanz und wo waren Sie bis jetzt?“ Also, vorher war ich beim Pädiater eine panische Mutter und in der Neuroentwicklungsambulanz galt ich als nicht fürsorgliche Mutter.
Alles in allem, wurde mein Mutterschaftsurlaub, der gerade geendet hat und ich zu meinem Arbeitsplatz hätte zurückkehren müssen, verlängert.
Nach dem ersten Schock, begannen wir mit der Therapie, die ein Mal pro Woche stattfand. Ich habe das Gefühl gehabt, dass das absolut zu wenig ist und er auch danach nicht gehen können wird. Die Ärztin hat mir gesagt, dass Mark dennoch gehen wird, jedoch leider nicht stabil und er Hilfsmittel brauchen wird. Er wird insofern nicht selbständig gehen können, weil er nicht alleine zum Geschäft gehen wird können.
Die Familienfreunde, die ähnliche Erfahrungen hatten, brachten uns nach Zagreb, zu Dr. Polovina. Ich wollte, dass er mir sagt, dass sein Zustand anders ist, mein Kind keine Schwierigkeiten haben und selbständig gehen wird, wie es der normalen Entwicklung entspricht. Aber ich habe das nicht gehört. Die Situation war klar: es wird viel Übung bedürfen, viele physiotherapeutische Übungen und selbständiges Gehen kann nicht garantiert werden.
Mit großem Enthusiasmus und viel Ernst haben wir begonnen, die Anleitungen von Dr. Polovina zu befolgen. Wir mussten täglich 8 Stunden physiotherapeutische Übungen machen, was im Prinzip bedeutet, die ganze Zeit, als das Kind wach war. Wir haben alle Besuche, Spaziergänge, Kaffeekränzchen mit anderen Müttern, Urlaube etc. abgesagt. Unser Leben haben wir zur Gänze Übungen und Leibesübungen unterworfen. Unsere Wohnung wurde ein großer Übungsplatz, ausgefüllt mit physiotherapeutischen Experten, Spiegeln, Spielzeug, Kinderbüchern, Teletubbies-Videokasetten und später mit Steinpfaden. Als Marko ein Jahr alt war mussten wir ihn auf das Niveau eines 6 Monate alten Babys zurückversetzen, ihm regelmäßige Verhaltensmuster beibringen bzw. seine Bewegungsmuster ändern, die er seinen Möglichkeiten angeglichen hat.
Eltern, die eine ähnliche Geschichte erleben bzw. erlebten, wissen, dass das Familienleben bzw. die Ehe in diesen Momenten großen Tests unterzogen ist. Vor allem Mütter, die ihr Leben zur Gänze den Bedürfnissen des Kindes unterworfen und ihre Bedürfnisse beiseite gelegt haben, erleben große psychische Belastungen. Es gibt Nächte, wann du dein schlafendes Kind betrachtest und dich fragst: “Weshalb gerade er?“ Man sucht Fragen auf Antworten und kann sie nicht finden. Man macht sich Vorwürfe und fragt sich, wann und wo der Moment war, durch den diese Situation entstanden ist. Man weint in Momenten, wenn das Kind nicht üben will, wenn es einfach nicht Teil dessen ist, wann es lieber spielen will und die Welt nach seinen Vorstellungen erforschen will.Während man sich ständig denkt: wir müssen üben, wir müssen Schrittübungen machen und haben aber erst die Zehen aufgewärmt. Manchmal hat man das Gefühl, dass man das Kind in eine Situation gezwungen hat, das schwer für es ist und ihm nicht danach ist.
Dann muss man sich die Sätze von Dr. Polovina merken, die ich immer wiederholt habe: “Du bist eine Mutter und du weißt, was gut für dein Kind ist. Du kannst es nicht fragen, ob es üben möchte. Du weißt, dass es muss. Vergiss nicht, dass das Kind sich nicht an die Momente des Weinens während der Übungen erinnern wird! Daran wird es sich im Alter von 18 Jahren nicht erinnern, aber sei dir bewusst, dass es in seinem 18. Lebensjahr große psychische Beschwerden haben wird, wenn sein Gang bzw. seine Bewegungen beschränkt sein werden, und nicht, weil es im Alter von 2 Jahren geweint hat, weil es nicht üben wollte.“
Wenn ich heute über diesen Zeitraum zurückdenke, über die Zeit, die wir bis zu Markos ersten Schritten und späterem Gehen durchgemacht haben, bin ich mir bewusst, dass dies eine Zeit vieler Entsagungen, großer psychischer Belastungen war. Dafür aber zahlen sich die Übungen vielfach aus, was sich im Resultat umschlägt. Das Resultat der Übungen ist unschätzbar und kann nicht gemessen werden. Ich kann mit Recht behaupten, dass das mein Lebensprojekt war und ich das Beste getan habe, das ich konnte. Mein Kind, mein Mark, ist heute kein Kind mit besonderen Bedürfnissen mehr. Er ist ein Kind, dem Gehen, Laufen, Fußballspielen, Tennis, Schwimmen, Ski fahren usw. etwas darstellt, was sich von selbst versteht.